2022

Space Weather Jahreszusammenfassung

 
Flares / Sonneneruptionen:

Flares (Sonneneruptionen) sind extreme Strahlungsausbrüche auf der Sonnenoberfläche, die meist als Folge magnetischer Kurzschlüsse im Bereich größerer magnetisch komplexer Sonnenfleckengruppen auftreten. Flares strahlen im gesamten elektromagnetischen Spektrum. Häufig werden sie nach zwei Kriterien klassifiziert, zum einen nach der Flächenausdehnung während ihrer maximalen Intensität in der Emissionslinie des neutralen atomaren Wasserstoffs (Klassen 1, 2, 3, 4 mit Helligkeitsunterklassen F, N, B), zum anderen nach der maximalen Strahlungsleistung der Röntgenstrahlung im Wellenlängenbereich 0,1-0,8nm, gemessen am Oberrand der Erdatmosphäre (Klassen B, C, M, X).

Drei Jahre ist es mittlerweile schon wieder her, seit die Sonne ihr Minimum zwischen den Zyklen SSC 24 und SSC 25 durchlaufen hat, das ist immerhin ein Zeitraum, nach dem SSC 18 und SSC 22 bereits nur noch wenige Monate vor ihren jeweiligen Maxima gestanden sind. (Anm.: Sonnenfleckenmaximum SSC 25 wird erst zwischen Januar 2024 und April 2025 erwartet). So ist es also nicht als Überraschung zu werten, dass die Zahl an Sonneneruptionen inzwischen schon recht hohe Werte einnimmt. Es ist aber durchaus beeindruckend, dass die Gesamtzahl an Flares von 2268 ab der Klasse C (Strahlungsleistung > 0,000001W/m²) im Jahr 2022 (z.Vgl. 2021: 437) die Vergleichswerte gleich der vergangenen 19 Jahre (!) in den Schatten stellt. Zuletzt war der Wert im Jahr 2002 gerade noch um 282 Flares höher gelegen. Auch die Zahl an Klasse M (Strahlungsleistung > 0,00001W/m²) Flares übertraf mit 191 den Vorjahreswert (z.Vgl. 2021: 30) deutlich. Hier muss man aber nicht soweit zurückblicken, um einen noch höheren Jahreswert zu finden. Diesen entdeckt man bereits im Jahr 2014, dem Maximumsjahr des unmittelbar vergangenen Sonnenfleckenzyklus (SSC 24) mit insgesamt 224 Sonneneruptionen. Flares der Klasse X (Strahlungsleistung > 0,0001W/m²) traten im vergangenen Jahr insgesamt 7 auf (z.Vgl. 2021:2), auch hier muss man „nur“ bis in das Jahr 2014 zurückblicken, um einen mit 16 aber auch gleich noch wesentlich höheren Wert vorzufinden. Die stärkste Sonneneruption des Jahres 2022 ereignete sich am 20. April 2022 mit einem Wert von X2.2.

Als aktivster Monat des Jahres zeichnete sich der letzte Monat, der Dezember aus, mit gleich 303 Eruptionen der Klasse C oder höher, wobei immerhin 36 davon auch noch den Schwellwert der Klasse M überbieten konnten, was den höchsten Monatswert seit Oktober 2014 markiert. Nicht so viele M-Klasse-Flares, dafür aber noch eine etwas höhere Zahl an Flares insgesamt (ab C-Klasse) wies der September mit 306 aus, wobei dies dann sogar den höchsten Wert seit sehr langer Zeit, seit August 2002 (!) bedeutet. Die meisten X-Klasse-Flares innerhalb eines Monats gab es im April mit 3. Mehr wurden zuletzt im aktiven September 2017 mit 4 verzeichnet.

 
Protonen-Events:

Als Protonen-Event bezeichnet man das Eintreffen einer signifikanten Menge hochenergetischer Protonen, die mit großer Geschwindigkeit von der Sonne abgegeben werden und in der Folge das Sonnensystem rasend schnell durchqueren. Als Verursacher für solche Ereignisse kommen zum einen intensive Sonneneruptionen in Frage, eine erhebliche Anzahl starker Protonen-Events dürfte aber vor allem auf die beschleunigende Wirkung von Schockfronten expandierender CMEs (Koronaler Massenauswürfe) mit Schockstruktur zurückzuführen sein. Klassifiziert werden Protonen-Events nach ihrer Raumdurchflussstärke, die am Oberrand der Erdatmosphäre gemessen wird, wobei für die NOAA Sturmkategorien speziell Protonen mit Energiebeträgen über 10MeV in die Bewertung einfließen.

Auch die Zahl an Protonen-Events ist im Zunehmen begriffen. So wurden im Jahr 2022 nach obiger Definition insgesamt 5 Protonen-Events der Klasse S1 (Raumdurchflussstärke > 10p/srcm²s) aufgezeichnet (z.Vgl. 2021: 3), immerhin der höchste Jahreswert seit 2014, dem Maximumsjahr des unmittelbar vergangenen Sonnenfleckenzyklus (SSC 24). Der Jahreshöchstwert erreichte dabei 55p/srcm²s und wurde am 28.März 2021 um 14:50 UTC (16:50 MESZ) inmitten eines 7 Stunden 50 Minuten andauernden Protonen-Sturms erzielt. Auf höherklassige Protonen-Events ab der Klasse S2 wartet man aber weiterhin vergeblich, mittlerweile schon seit 1936 Tagen bis zum Jahresende 2022. Diese Zeitspanne übertrifft mittlerweile sogar das tiefe Sonnenaktivitätsminimum zwischen SSC 23 und SSC 24 und stellt damit die längste Flaute an höherklassigen Protonen-Events dar, seit vergleichbare Daten vorliegen, also zumindest bis zum Jahr 1976 zurück.

 
Geomagnetische Aktivität:

Die geomagnetische Aktivität wird vom Erdboden aus mittels Magnetometer erhoben und anhand verschiedener Indizes quantifiziert. Besonders gut für statistische Auswertungen eignet sich dabei der sogenannte Ap-Index, ein weltweit erfasster Wert, der den Grad der geomagnetischen Störungen, bereinigt von Standort- und Tagesgangeffekten, recht gut wiedergibt. Im Jahr 2022 blieb der Jahresmittelwert des Ap-Index erneut und insgesamt bereits das neunzehnte Jahr in Folge unter dem langjährigen Durchschnitt der Jahre 1933-2008 (SSC 17-23) von 14,4. Mit 10,1 übertrumpfte er dabei aber wenigstens die vier unmittelbar davor liegenden noch inaktiveren Jahre 2018-2021. Am geomagnetisch aktivsten zeigte sich im Verlauf des Jahres der September mit einem Ap-Index von 12,2. Die geringste geomagnetische Aktivität wies der Mai auf mit einem Ap-Index von nur 7,5. Vergleicht man die aktuellen Monatswerte mit den entsprechenden langjährigen Mittelwerten der Jahre 1933-2008 (SSC 17-23), so befinden wir uns zum Jahresende 2022 in einer mittlerweile schon 63 Monate lang andauernden Phase (seit Oktober 2017), in welcher in jedem einzelnen Monat der Monatsmittelwert unterschritten wurde. Nur einmal seit Aufzeichnungsbeginn im Jahr 1933 gab es eine in dieser Hinsicht noch länger andauernde Zeitspanne. Von Januar 2007 bis Juni 2012 schaffte es der Ap-Index gleich 66 Monate lang hintereinander nicht, den entsprechenden Monatsmittelwert der Referenzperiode 1933-2008 (SSC 17-23) auch nur zu erreichen.

Betrachtet man tägliche Ap-Werte und weist sie entsprechend einer Definition des NOAA SWPC sogenannten „Geomagnetischen Aktivitätslevels“ zu, so ergibt sich folgende Häufigkeitsverteilung für das Jahr 2022 (in den Spalten rechts der Vorjahreswert sowie kursiv der langjährige Durchschnitt 1933-2008):

quiet / ruhig 165 Tage 2021: 246 langjährig 140
unsettled / unbeständig 132 Tage 2021: 89 langjährig 118
active / aktiv 62 Tage 2021: 27 langjährig 70
minor storm / leichter Sturm 5 Tage 2021: 2 langjährig 25
major storm / starker Sturm 1 Tag 2021: 1 langjährig 10
severe storm / schwerer Sturm 0 Tage 2021: 0 langjährig 2

Die geomagnetisch aktivsten Monate des Jahres 2022 waren in dieser Hinsicht April, August und September mit zumindest jeweils 6 „aktiven“ Tagen, wovon zumindest 1 auch eine Sturmkategorie, in diesen Fällen „leichter Sturm“ erreichte. Der September ragte hier noch darüber hinaus, weil in diesem Monat 1 weiterer Tag sogar die Kriterien für „starker Sturm“ erfüllte (4. September 2022, Ap-Index 62). Als geomagnetisch ruhigste Monate des Jahres erwiesen sich der Mai und Juni, in welchen nur 3 bzw. 2 Tage die Kategorie „aktiv“ erreichten, während im Gegensatz dazu gleich 17 bzw. 16 Tage in diesen Monaten über die unterste Kategorie „ruhig“ nicht hinauskamen.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt man auch, wenn man geomagnetische Stürme entsprechend den NOAA Space Weather Scales auswertet. Angelegt an die Saffir-Simpson-Skala für Hurrikanes sind auch die NOAA Space Weather Scales (Strahlungs-, Protonen-, Geomagnetische Stürme) in jeweils 5 ansteigende Stufen mit zunehmender Gefährlichkeit unterteilt. Während im Normalfall G1-Stürme, die durchschnittlich an etwa 88 Tagen pro Jahr auftreten, und G2-Stürme mit immerhin 36 Tagen nicht gerade seltene Ereignisse darstellen, kann mit G3-Stürmen noch an gut 13 Tagen pro Jahr gerechnet werden, während hingegen Stürme der Kategorie G4 mit durchschnittlich 4,5 Fällen und G5-Stürme mit gerade mal 0,3 Fällen pro Jahr nur noch sporadisch in Erscheinung treten. Im Jahr 2022 gab es nur an 55 Tagen einen G1-Sturm (z.Vgl. 2021: 27), an 10 Tagen einen G2-Sturm (2021: 6) und an lediglich 2 Tagen einen G3-Sturm (z.Vgl. 2021: 2). G4-Stürme gab es im Gegensatz zum Vorjahr keine (z.Vgl. 2021: 1). Der bislang letzte G5-Sturm ist überhaupt schon extrem lange her und datiert vom 30. Oktober 2003. Ein derart langer Zeitraum ohne G5-Sturm ist seit Beginn der regelmäßigen Bestimmung des Kp-Wertes (Januar 1933) nicht annähernd aufgetreten (bislang war der etwas mehr als 11 Jahre andauernde Zeitraum vom 15. März 1989 bis zum 14. Juli 2000 die längste Phase ohne G5-Sturm).

 
Polarlichter:

Ein stark wachsendes mediales Interesse, die zunehmende Anzahl an Beobachtern, der rege Austausch über Internetforen und nicht zuletzt die Anwendung von lichtstarken, häufig auch automatischen Kameras und Webcams führte in den letzten Jahren zu einer übermäßig rasch ansteigenden Zahl an Polarlichtbeobachtungen, die einen Vergleich mit früheren Jahren unmöglich macht. So konnten im deutschsprachigen Raum entsprechend dem umfangreichen und schön gestalteten Polarlichtarchiv von Andreas Möller im Jahr 2022 die Zahl von 40 Nächten (2021: 14) mit Polarlicht notiert werden. Die Ereignisse waren aber überwiegend auf den Norden oder bestenfalls die Mitte Deutschlands begrenzt oder nur fotografisch nachweisbar. Im Alpenraum (Österreich und Schweiz) blieben zumindest mit dem Auge sichtbare Polarlichter im Jahr 2022 wieder aus. Hier warten wir mittlerweile schon mehr als 7 Jahre auf ein entsprechendes Ereignis, eine unfassbar lange Zeit, lassen doch Untersuchungen nahe legen, dass im langjährigen Vergleich pro Jahr etwa 1 auffälliges und 2-3 weitere schwache Polarlichter (gutes Wetter vorausgesetzt) im Alpenraum durchaus zu erwarten wären.

Andreas Pfoser, 8. März 2023

Quellen der Rohdaten:
NOAA, Space Weather Prediction Center
Deutsches GeoForschungsZentrum, Helmholtz-Zentrum, Potsdam
WDC SILSO, Royal Observatory of Belgium, Brussels

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