Space Weather Jahreszusammenfassung
Flares / Sonneneruptionen:
Flares (Sonneneruptionen) sind extreme Strahlungsausbrüche auf der Sonnenoberfläche, die meist als Folge magnetischer Kurzschlüsse im Bereich größerer magnetisch komplexer Sonnenfleckengruppen auftreten. Flares strahlen im gesamten elektromagnetischen Spektrum. Häufig werden sie nach zwei Kriterien klassifiziert, zum einen nach der Flächenausdehnung während ihrer maximalen Intensität in der Emissionslinie des neutralen atomaren Wasserstoffs (Klassen 1, 2, 3, 4 mit Helligkeitsunterklassen F, N, B), zum anderen nach der maximalen Strahlungsleistung der Röntgenstrahlung im Wellenlängenbereich 0,1-0,8nm, gemessen am Oberrand der Erdatmosphäre (Klassen B, C, M, X).
Mittlerweile sind bereits vier Jahre vergangen, seit die Sonne ihr Minimum zwischen den Zyklen SSC 24 und SSC 25 durchlaufen hat, ein Zeitraum, der in der überwiegenden Mehrheit aller bisherigen Sonnenfleckenzyklen lang genug war, um vom jeweiligen Minimum zum Sonnenfleckenmaximum aufzuschwingen. In der Tat kann davon ausgegangen werden, dass das Aktivitätsmaximum des SSC 25 spätestens in den nächsten Monaten auch tatsächlich erreicht wird. So ist es zumindest nicht überraschend, dass die Zahl an Sonneneruptionen dieses wie letztes Jahr recht hohe Werte eingenommen hat. Die Zahl selbst von insgesamt 3152 Flares ab der Klasse C (Strahlungsleistung > 0,001mW/m²) im Jahr 2023 (z.Vgl. 2022: 2268) erstaunt dann aber zunächst einmal doch, zumal ein so hoher Wert in den Statistiken der vergangenen knapp drei Jahrzehnte nicht einmal ansatzweise ausgewiesen wird. Der hohe Zahlenwert relativiert sich aber, wenn man berücksichtigt, dass die vergleichsweise geringeren Werte der Jahre davor vor allem auch auf einen Skalierungsfaktor zurückzuführen sind, welcher jetzt zwar nicht mehr angewendet wird, in den alten Daten vorerst aber noch enthalten ist. So gesehen können die unmittelbar letzten Jahre (SSC 25) eigentlich nur untereinander gut verglichen werden. Um sie auch Werten früherer Zyklen gegenüberstellen zu können, müssten die betroffenen älteren Datentabellen erst noch korrigiert werden.
Betrachtet man die Zahl an Klasse M Flares (Strahlungsleistung > 0,01mW/m²) im Jahr 2023, so übertraf diese mit 364 den Vorjahreswert (z.Vgl. 2022: 191) deutlich. Flares der Klasse X (Strahlungsleistung > 0,1mW/m²) traten im vergangenen Jahr insgesamt 13 mal auf (z.Vgl. 2022: 7). 13 X-Klasse-Flares in einem Jahr weisen schon auf eine erhöhte Sonnenaktivität hin, jedoch in Anbetracht des nahen Sonnenfleckenmaximums dürfte dieser Wert dann trotzdem keine wirklich beachtliche Marke darstellen. Denn er wird – selbst ohne Re-Skalierung der alten Daten – von den Vergleichswerten der vergangenen beiden Sonnenfleckenzyklen, 16 X-Klasse-Flares im Maximumsjahr 2014 (SSC 24) bzw. 21 X-Klasse-Flares im Maximumsjahr 2001 (SSC 23), immer noch wesentlich übertroffen. Die stärkste Sonneneruption des Jahres 2023 ereignete sich übrigens am 31. Dezember 2023 mit einem Wert von X5.0. Als aktivster Monat des Jahres zeichnete sich der Mai aus mit 361 Eruptionen der Klasse C oder höher, wobei immerhin 58 davon auch noch den Schwellwert der Klasse M überbieten konnten. Die meisten X-Klasse-Flares innerhalb eines Monats gab es im Januar mit 3.
Protonen-Events:
Als Protonen-Event bezeichnet man das Eintreffen einer signifikanten Menge hochenergetischer Protonen, die mit großer Geschwindigkeit von der Sonne abgegeben werden und in der Folge das Sonnensystem rasend schnell durchqueren. Als Verursacher für solche Ereignisse kommen zum einen intensive Sonneneruptionen in Frage, eine erhebliche Anzahl starker Protonen-Events dürfte aber vor allem auf die beschleunigende Wirkung von Schockfronten expandierender CMEs (Koronaler Massenauswürfe) mit Schockstruktur zurückzuführen sein. Klassifiziert werden Protonen-Events nach ihrer Raumdurchflussstärke, die am Oberrand der Erdatmosphäre gemessen wird, wobei für die NOAA Sturmkategorien speziell Protonen mit Energiebeträgen über 10MeV in die Bewertung einfließen.
Ähnlich der Flare-Entwicklung war auch die Zahl an Protonen-Events im zunehmenden Sonnenaktivitätszyklus zuletzt im Ansteigen begriffen. So wurden im Jahr 2023 nach obiger Definition insgesamt 13 Protonen-Events der Klasse S1 (Raumdurchflussstärke > 10p/srcm²s) aufgezeichnet (z.Vgl. 2022: 5), immerhin der höchste Jahreswert seit 2012. Erstmals seit dem Jahr 2017 wurde auch der Schwellwert zur Klasse S2 wieder überboten, und zwar gleich 2 mal. Damit ging eine Rekord-Zeitspanne von insgesamt 2134 Tagen zuende, in der vom 13. September 2017 bis zum 17. Juli 2023 kein einziger Protonen-Event der Klasse S2 aufgetreten ist. Am unmittelbar darauf folgenden 18. Juli 2023 wurde dann aber auch gleich der Jahreshöchstwert mit 620p/srcm²s erzielt, und zwar um 06:15 UTC (08:15 MESZ) inmitten eines 2 Tage 4 Stunden 55 Minuten andauernden Protonen-Sturms. Auf höherklassige Protonen-Events ab der Klasse S3 wartet man aber immer noch vergeblich, mittlerweile schon seit 2303 Tagen bis zum Jahresende 2023. Diese Zeitspanne übertrifft sogar das tiefe Sonnenaktivitätsminimum zwischen SSC 23 und SSC 24 und stellt damit die längste Flaute an höherklassigen Protonen-Events dar, seit vergleichbare Daten vorliegen, also zumindest bis zum Jahr 1976 zurück.
Geomagnetische Aktivität:
Die geomagnetische Aktivität wird vom Erdboden aus mittels Magnetometer erhoben und anhand verschiedener Indizes quantifiziert. Besonders gut für statistische Auswertungen eignet sich dabei der sogenannte Ap-Index, ein weltweit erfasster Wert, der den Grad der geomagnetischen Störungen, bereinigt von Standort- und Tagesgangeffekten, recht gut wiedergibt. Im Jahr 2023 blieb der Jahresmittelwert des Ap-Index erneut und insgesamt bereits das zwanzigste Jahr in Folge unter dem langjährigen Durchschnitt der Jahre 1933-2008 (SSC 17-23) von 14,4. Mit 10,9 übertrumpfte er dabei aber wenigstens die sieben unmittelbar davor liegenden noch inaktiveren Jahre 2016-2022. Insgesamt ist aber eine so lang andauernde Phase reduzierter geomagnetischer Aktivität seit Einführung des Ap-Index im Jahr 1933 nicht annähernd aufgetreten. Vergleichsdaten, die vor Einführung des Ap-Index erhoben wurden, lassen eventuell vermuten, dass man bis in die Jahre um 1905-1925 zurückblicken muss, um geomagnetisch ähnlich schwache 20 Jahre vorzufinden, dies ist aber mit Unsicherheiten behaftet.
Am geomagnetisch aktivsten zeigten sich im Verlauf des Jahres Februar, März und September mit Ap-Indizes von 14,5, 14,4 bzw. 14,3. Diese auf ersten Blick recht ansprechenden Werte dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch im Jahr 2023 wieder sämtliche Monatswerte unter den entsprechenden langjährigen Monatsmittelwerten der Jahre 1933-2008 (SSC 17-23) geblieben sind. Damit hält die Phase kontinuierlich unterdurchschnittlicher geomagnetischer Aktivität (wenn man 1933-2008 als Referenz heranzieht) auch auf Monatsbasis weiter an, jetzt mittlerweile schon 75 Monate lang durchgehend ohne Unterbrechungen. Auch dies ist beispiellos seit Einführung des Ap-Index im Jahr 1933. Die geringste geomagnetische Aktivität wies im Jahr 2023 der August auf mit einem Ap-Index von nur 7,2.
Betrachtet man tägliche Ap-Werte und weist sie entsprechend einer Definition des NOAA SWPC sogenannten „Geomagnetischen Aktivitätslevels“ zu, so ergibt sich folgende Häufigkeitsverteilung für das Jahr 2023 (in den Spalten rechts der Vorjahreswert sowie kursiv der langjährige Durchschnitt 1933-2008):
quiet / ruhig | 180 Tage | 2022: 165 | langjährig 140 |
unsettled / unbeständig | 120 Tage | 2022: 132 | langjährig 118 |
active / aktiv | 47 Tage | 2022: 62 | langjährig 70 |
minor storm / leichter Sturm | 11 Tage | 2022: 5 | langjährig 25 |
major storm / starker Sturm | 7 Tage | 2022: 1 | langjährig 10 |
severe storm / schwerer Sturm | 0 Tage | 2022: 0 | langjährig 2 |
Die geomagnetisch aktivsten Monate des Jahres 2023 waren in dieser Hinsicht zum einen Februar, März und September mit jeweils 9-10 zumindest „aktiven“ Tagen, zum anderen aber auch November, in dem zwar nur 6 Tage zumindest „aktiv“ waren, aber gleich 4 davon wenigstens auch noch eine der Sturmkategorien erreichten. Im März und September wiesen immerhin 3 Tage Sturmcharakter auf, im September war dies in allen 3 Fällen der sogenannte „leichte Sturm“, während im März an 2 Tagen sogar ein „starker Sturm“ registriert werden konnte. Dem entsprechend könnte man in Abstrichen auch noch den April durchaus als geomagnetisch aktiv bezeichnen, da hier ebenfalls an 2 Tagen ein „starker Sturm“ verzeichnet werden konnte, wobei allerdings nur 3 weitere Tage der Kategorie „aktiv“ zuzuordnen waren und bereits 25 Tage den Kategorien „ruhig“ oder „unbeständig“. Gleich 27 Tage „ruhig“ oder „unbeständig“ verliefen Juli und Oktober bei nur 4 „aktiven“ Tagen und keinem einzigen Tag, wo eine Sturmkategorie registriert werden konnte. Wenigstens 1 Tag „leichter Sturm“ erreichte dafür der August. Da aber dafür alle anderen 30 Tage nicht über „ruhig“ oder „unbeständig“ hinausgekommen waren, kann man wohl diesen Monat als den geomagnetisch ruhigsten des Jahres bezeichnen. Der geomagnetisch aktivste Tag des Jahres entfiel übrigens auf den 27. Februar 2023 mit einem Ap-Index von 91. Dies stellt den höchsten Wert seit dem 8. September 2017 dar, als zum bislang letzten Mal sogar ein „schwerer Sturm“ registriert werden konnte.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt man auch, wenn man geomagnetische Stürme entsprechend den NOAA Space Weather Scales auswertet. Angelegt an die Saffir-Simpson-Skala für Hurrikanes sind auch die NOAA Space Weather Scales (Strahlungs-, Protonen-, Geomagnetische Stürme) in jeweils 5 ansteigende Stufen mit zunehmender Gefährlichkeit unterteilt. Während im Normalfall G1-Stürme, die durchschnittlich an etwa 88 Tagen pro Jahr auftreten, und G2-Stürme mit immerhin 36 Tagen nicht gerade seltene Ereignisse darstellen, kann mit G3-Stürmen noch an gut 13 Tagen pro Jahr gerechnet werden, während hingegen Stürme der Kategorie G4 mit durchschnittlich 4,5 Fällen und G5-Stürme mit gerade mal 0,3 Fällen pro Jahr nur noch sporadisch in Erscheinung treten. Im Jahr 2023 gab es nur an 51 Tagen einen G1-Sturm (z.Vgl. 2022: 55), an 19 Tagen einen G2-Sturm (2022: 10) und an 7 Tagen einen G3-Sturm (z.Vgl. 2022: 2). 3 mal wurde ein G4-Sturm registriert (z.Vgl. 2022: 0), auf einen G5-Sturm warten wir allerdings schon extrem lange. Der bislang letzte datiert vom 30. Oktober 2003. Ein derart langer Zeitraum ohne G5-Sturm ist seit Beginn der regelmäßigen Bestimmung des Kp-Wertes (Januar 1933) nicht annähernd aufgetreten (bislang war der etwas mehr als 11 Jahre andauernde Zeitraum vom 15. März 1989 bis zum 14. Juli 2000 die längste Phase ohne G5-Sturm).
Polarlichter:
Ein stark wachsendes mediales Interesse, die zunehmende Anzahl an Beobachtern, der rege Austausch über Internetforen und nicht zuletzt die Anwendung von lichtstarken, häufig auch automatischen Kameras und vor allem auch Webcams führte in den letzten Jahren zu einer übermäßig rasch ansteigenden Zahl an Polarlichtbeobachtungen, die einen Vergleich mit früheren Jahren unmöglich macht. So konnten im deutschsprachigen Raum entsprechend dem umfangreichen und schön gestalteten Polarlichtarchiv von Andreas Möller im Jahr 2023 die ungewöhnlich hohe Zahl von 57 Nächten (2022: 40) mit Polarlicht notiert werden. Die meisten dieser Ereignisse waren aber naturgemäß auf den Norden oder bestenfalls die Mitte Deutschlands begrenzt, oft nur schwach ausgeprägt oder überhaupt nur fotografisch nachweisbar. Zumindest zwei Nächte verdienen aber mehr Beachtung, denn diese erregten nennenswerte Aufmerksamkeit auch im Alpenraum. So verlief vor allem die Nacht 23./24. April 2023 faszinierend. Nicht nur, dass sich in diesen Stunden zum ersten Mal seit mehr als 8 Jahren wieder deutlich freisichtige Polarlichter in Österreich zeigten, sondern auch beeindruckte vor allem der für mittlere Breiten überraschende Variantenreichtum dieser Polarlichterscheinung. So konnte nicht nur der hierzulande eher rar auszumachende grüne Polarlichtbogen beobachtet werden mit den natürlich auffälligeren darüber liegenden violetten Farbflächen, sondern auch sehr spektakulär die wirklich seltene subaurorale RAGDA-Aurora (schwache rote Strahlen mit grünen pulsierenden Flecken). In der zweiten erwähnenswerten Nacht, genauer gesagt am Abend des 5.November war von dieser Vielfältigkeit dann weniger zu sehen, aber es war das kurzzeitig sehr helle, sich über den zarten gelbgrünen Polarlichtbogen erhebende Rot und Violett, das zumindest für einige Minuten für Aufsehen sorgte. Damit kann sich das Polarlichtjahr 2023 im Rückblick der vergangenen knapp zwei Jahrzehnte durchaus sehen lassen. Die spektakulären Polarlichtereignisse der ersten 5 Jahre nach der Jahrtausendwende zeugen aber dann doch noch von einer anderen Zeit, einer Phase, die sich mittlerweile wie ferne Vergangenheit anfühlt, in welcher die Sonnenaktivität noch einen ganz anderen Level als heute eingenommen hat.
Andreas Pfoser, 29. Februar 2024
Quellen der Rohdaten:
NOAA, Space Weather Prediction Center
Deutsches GeoForschungsZentrum, Helmholtz-Zentrum, Potsdam
WDC SILSO, Royal Observatory of Belgium, Brussels